ZEIT-Kritik an der Zertifizierung von Waldschutzprojekten durch VERRA

| Autor: PRIMAKLIMA

Letzte Woche erschien ein kritischer Artikel in Die ZEIT über die Waldschutzprojekte der Organisation Verra, die hinter dem Verified Carbon Standard (VCS) steht und die meisten Projekte im freiwilligen Kohlenstoffmarkt zertifiziert.

Der Vorwurf: Verra habe die Gefahren für die Rodung von Wäldern massiv überschätzt und aufgrund dessen zu viele Klimaschutzzertifikate für deren Erhaltung in den Schutzprojekten ausgestellt. Dabei bezieht sich Die ZEIT auf zwei wissenschaftliche Studien, in den 29 der 87 Waldschutzprojekte von Verra untersucht wurden.

Sowohl Verra als auch Projektentwickler und weitere beteiligte Organisationen haben inzwischen Gegendarstellungen verfasst. Im Sinne unserer Unterstützer:innen möchten wir transparent zur Aufklärung beitragen und die wichtigsten Fragen beantworten.

Sind die Vorwürfe gegenüber Verra berechtigt?

Wir möchten uns ehrlich und ergebnisoffen mit der Kritik auseinandersetzen und nicht sofort in den Chor der Gegendarstellungen einstimmen. Dafür müssen wir die verschiedenen Positionen, ihre wissenschaftlichen Grundlagen und die Erkenntnisse aus unserem Netzwerk bewerten. Am Ende werden wir entscheiden müssen, ob der weltweit größte Zertifizierer von Waldprojekten die Integrität besitzt, die wir für die Zertifizierung von Projekten erwarten.

Wird PRIMAKLIMA direkt kritisiert?

Nein, PRIMAKLIMA wird in dem Artikel nicht erwähnt. Leider kommt auch die Rolle, die gemeinnützige Organisationen wie wir übernehmen, zu kurz. Sie haben die wichtige Funktion, über die Standards hinaus Kriterien an die Wirksamkeit der Projekte zu stellen und die besten Projekte zu unterstützen. Im Artikel heißt es lediglich: „Zweitens gibt es die Händler, meist Start-Ups oder Beratungsfirmen, die die Zertifikate vermitteln und verkaufen und damit viel Geld verdienen“. Von unerfahrenen Start-Ups und gewinnorientierten Beraterfirmen setzt sich PRIMAKLIMA jedoch deutlich ab: Wie bei gemeinnützigen Organisationen üblich, können alle Interessierten in unseren Tätigkeitsberichten nachlesen, welcher Anteil unserer Mittel in die Projektarbeit fließt, wie hoch die Personalkosten sind, etc. Durch unsere Verpflichtung zur Gemeinnützigkeit reinvestieren wir alle Gelder in den Klimaschutz – es werden keine Gewinne gemacht. Seit 1991 verdienen wir Geld für einen einzigen Zweck: der Finanzierung von Waldprojekten.

Vor allem aber ist es unsere Aufgabe, gute Projekte für den Klima- und Naturschutz zu finden und zu fördern. Dieses Verständnis ist ein gänzlich anderes als die beschriebene Vermittlung von Zertifikaten. Als gemeinnützige Klimaschutzorganisation mit über 30 Jahren Erfahrung mit Waldprojekten unterstützen wir hingegen nur sehr wenige Projekte. Diese wählen wir sorgfältig aus, besuchen sie und halten Kontakt zu den Verantwortlichen vor Ort. In der Zusammenarbeit mit Unternehmen verlangen wir ein ernsthaftes Interesse an einer klimafreundlichen Transformation. Jede Kooperation prüfen wir gemäß unserer Corporate Fundraising Policy, die Unternehmen verpflichten sich, ihre Emissionen zu veröffentlichen und uns jährlich über Klimaschutzmaßnahmen zu informieren. Wir haben zahlreiche Kooperationsanfragen abgelehnt und einige Kooperationen beendet, wenn uns das Verhalten der Unternehmen nicht überzeugt hat. Unternehmen, die sich für eine Zusammenarbeit mit PRIMAKLIMA und anderen seriösen Organisationen entscheiden, tun dies bewusst, wie wir u.a. aus der Reaktion des Unternehmens Bosch Tiernahrung auf unsere Information bzgl. des ZEIT-Artikels herauslesen konnten: „Frau Frahm hat von Anfang an klar kommuniziert, dass es Ihnen um eine stetige Weiterentwicklung im Bereich der Emissionseinsparung unsererseits geht und hat immer einen starken Fokus auf nachhaltiges Denken gelegt und unser Engagement hinterfragt. Der Austausch war für uns immer sehr bereichernd und anregend. Wir haben daher vollstes Vertrauen in Ihre Organisation und Ihre Einschätzung und wissen, dass Klimaschutz für Sie eine Herzensangelegenheit ist“.

Sind Projekte von PRIMAKLIMA von der Kritik betroffen?

Derzeit unterstützt PRIMAKLIMA drei Auslandsprojekte:

  • Die Projekte in Nicaragua und Uganda sind Aufforstungsprojekte. Sie gehören also nicht zu den im Artikel kritisierten Waldschutzprojekten. Das Projekt in Nicaragua ist im Übrigen nicht von Verra, sondern von Plan Vivo zertifiziert.
  • Da uns der Erhalt von lebensreichen Wäldern am Herzen liegt, unterstützen wir zudem ein Waldschutzprojekt in Indonesien.
    Das Projekt haben wir nach unseren Kriterien, die weit über die Verra-Zertifizierung hinausgehen, begutachtet. Im Rahmen unserer Prüfung haben wir das Projekt zusammen mit einem unabhängigen lokalen Forstexperten besucht. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass dieses Projekt den zertifizierten Beitrag zur Vermeidung von Treibhausgasen leistet und gleichzeitig eine wahre Schatzkammer der biologischen Vielfalt wirksam schützt.
    Durch das Projekt wird ein Torfmoorwald vor der Rodung bewahrt. Die Gefahr der Abholzung des gesamten Gebiets bestand in diesem Fall konkret, denn das Ministerium für Forstwirtschaft hatte das Waldgebiet bereits als Plantagengebiet ausgezeichnet. Der Torfmoorwald sollte gefällt werden, damit Akazien für die Papierproduktion gepflanzt werden können. Der Umfang der Entwaldung stand also fest. Um auch die Entwaldungsgeschwindigkeitrate nicht zu überschätzen, wurden Akazienplantagen an anderen Orten in Indonesien untersucht und diejenige mit der geringsten Entwaldungsrate als Referenz genutzt, obwohl Verra auch den (etwa doppelt so hohen) durchschnittlichen Wert aller Plantagen akzeptiert hätte. Das Projekt wird weder im ZEIT-Artikel noch in den beiden Studien, die dem Artikel zu Grunde liegen, genannt.

Wie geht es weiter?

Wir nehmen den Artikel der ZEIT zum Anlass, die in den Studien verwendeten neuen Methoden zur Berechnung der Rodungswahrscheinlichkeiten nachzuvollziehen. Sollten sie einen Mehrwert darstellen, werden wir ihre Anwendbarkeit auf das Projekt in Indonesien überprüfen und generell für die Verbesserung unser Projektauswahlkriterien heranziehen. Zudem nutzen wir die Gelegenheit, mit unseren Partnerorganisationen über mögliche Schwachstellen ins Gespräch zu kommen.
Sollten sich die generellen Vorwürfe gegen Verra bestätigen, wäre dies vor allem ein Rückschlag für den Klimaschutz. Um eine Chance zu haben, das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, können wir uns schon jetzt keine weitere Zerstörung von Wäldern leisten. Auf der Ebene der Nationalstaaten und staatenübergreifender Organisationen ist der Ehrgeiz für einen wirksamen Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen jedoch bisher viel zu gering.
Wir brauchen das ehrliche Engagement von Unternehmen und privaten Spender:innen. Grundlage dafür ist Vertrauen in die berechenbare Wirksamkeit von Waldklimaschutzprojekten. Als mit Abstand größter Zertifizierer dieser Projekte ist Verra dafür verantwortlich, für die Klimaschutzleistung von Waldprojekten einzustehen. Gerade Unternehmen brauchen Garantien, um ihr Engagement intern umsetzen und extern kommunizieren zu können. Sind diese wertlos, werden sie sich in Zukunft weniger diese dringend notwendigen Aufgaben engagieren.

Unabhängig von der Frage, ob die Vorwürfe in ihrer Gesamtheit korrekt sind: Unternehmen müssen sich der Greenwashing-Gefahr stellen, indem sie zunächst den Blick auf das eigene Handeln richten und ihre Emissionen reduzieren. Wenn sie diese kompensieren und damit eine echte Wirkung erzielen möchten, muss die Qualität der Projekte im Vordergrund stehen. Nicht der Zertifikatspreis oder Vermarktungschancen.

Sobald wir uns eine abschließende Meinung zur ZEIT-Kritik an Verra gebildet haben, werden wir diese in unserem Blog veröffentlichen.

Update: Hier geht es zur zweiten Stellungnahme.

 

(Lars Forjahn und Dr. Henriette Lachenit)