Im November reisten wir auf Einladung von unseren Projektpartnern Taking Root und APRODEIN eine Woche nach Nicaragua, um dort das CommuniTree-Projekt zu besuchen. Natürlich war die Vorfreude bei uns allen sehr groß – für alle drei sollte es der erste Besuch in diesem Projekt sein.
Für mich persönlich war es ehrlicherweise noch eine Portion aufregender als für Theresa und Justus, da es mein erster Projektbesuch überhaupt sein sollte. Ich habe im August 2023 in meiner Rolle als „Schreibmaschine“ bei PRIMAKLIMA angefangen – nur drei Monate später wache ich nach einer sehr langen Reise und einer kurzen Nacht in der Hauptstadt Nicaraguas auf.
Buenos días, Nicaragua!
In der Nacht hatte es kaum abgekühlt; so war es ein warmer, schwüler Dienstagmorgen, der uns außerhalb der Hotelzimmer erwartete. Schon auf der Hotelanlage in Managua zückte ich andauernd mein Handy, um Fotos von der Außenanlage zu machen: Alte, große Bäume, wuchsfreudiger Bambus und leuchtende Blüten, wohin das Auge wanderte. Ich war schon jetzt begeistert.
Die vierstündige Busfahrt von Managua nach Somoto habe ich fast ausschließlich damit verbracht, aus dem Fenster zu schauen und die vorbeiziehende Hügel-Landschaft zu genießen. Kurz nach der Regenzeit ist sie von einem so satten Grün, das man hier in Deutschland wohl nur mit den ersten drei bis vier Wochen des Frühlings vergleichen kann.
Unterbrochen wurde ich in meiner stillen Beobachtung eigentlich nur gelegentlich von Justus, der seine Freude über entdeckte Tiere mit mir teilte: Als er „Pelikane!“ sichtete, hatte ich zumindest eine Vorstellung, wonach ich Ausschau halten konnte. Aber als er dann begeistert einen „Guardabarranco!“ entdeckte, war es mit meinen Kenntnissen auch schon vorbei. So erfuhr ich, dass dieser Vogel mit türkisen Federn (und unverwechselbarem Sound) das Nationaltier Nicaraguas ist.
Aus Bildern werden Begegnungen
Nach einem kurzen Check-In im Hotel in Somoto besuchten wir das APRODEIN-Büro, wo uns der Gründer, Elvin, und sein Team bereits erwarteten. Neben uns sind weitere Unterstützer des Projekts angereist, unter anderem aus Schweden, Großbritannien und den USA.
Natürlich habe ich mich seit meinem Start bei PRIMAKLIMA schon ausführlich mit dem Projekt in Nicaragua beschäftigt – und viele der involvierten Personen in Berichten oder auf Fotos gesehen. Ich merkte schon in den ersten Minuten, wie wertvoll es ist, die Menschen hinter dem Projekt „live und in Farbe“ kennenzulernen. Die Energie, die Ausstrahlung, die man im persönlichen Austausch spürt, ist nicht zu ersetzen.
Nach einer kurzen Präsentation und Einweisung ging es dann zum gemeinsamen Mittagessen. „Mi Ranchito“ servierte für Nicaragua traditionelles Essen: Als Vegetarierin gab es für mich einen Teller voller leckerem Gemüse, darunter gedünsteten Brokkoli, Kartoffeln, frische Avocado; außerdem Kochbananen, Reis und Bohnen. Eine frittierte Beilage, die ich in anderen Ländern als Tofu identifiziert hätte, entpuppte sich als salziger Käse. Dazu ein Schuss frischer Limettensaft.
Mit so vielen anderen „Verbündeten“ am Tisch zu sitzen war etwas Außergewöhnliches: Eine große Gruppe voller Menschen, die sich eigentlich gar nicht kennen – die aber, zwar an ganz unterschiedlichen Orten dieser Welt, dennoch für dieselbe Mission kämpfen. Es ist ein besonderes Gefühl, eine spezielle Verbundenheit, die ich sonst eigentlich nur privat von ausgewählten Konzerten, aus der Heimkurve eines Fußballvereins oder von Demonstrationen kenne.
Zwei Tage Off-Road und ein Aha-Moment
Ab in den Wald: Am zweiten Tag besuchten wir vier verschiedene aufgeforstete Flächen – darunter eine, die frisch im August 2023 gepflanzt wurde. Am selben Tag waren wir auf einer weiteren Fläche, die 2016 gepflanzt wurde – und heute so weit gewachsen ist, dass keinerlei Eingriffe mehr nötig sind, um ein gesundes, langfristiges Wachstum sicherzustellen. Es ist unglaublich beeindruckend zu sehen, wie schnell sich hier eine Fläche von kleinen, zierlichen Setzlingen hin zu einem Wald mit wohltuendem Schatten, vielen Vögeln und bunten Schmetterlingen entwickeln kann.
Noch schöner aber war es für mich, die Menschen hinter den Wäldern kennenzulernen. Vor der Reise hatte ich die Vorstellung, dass wir in jedem Wald auf eine:n Farmer:in treffen; und vielleicht noch auf die Familie. Schlussendlich war das auch so. Allerdings erzählten uns nahezu alle Beteiligten, dass noch viele weitere Menschen an der Arbeit auf den Flächen beteiligt sind: Sie helfen bspw. beim Pflanzen der Setzlinge, beim Pflegen der Fläche oder können ihr Gemüse zwischen den Pflanzreihen anbauen, solange die Bäumchen heranwachsen. Sie verdienen sich etwas dazu – oder nutzen die Fläche für ihre Zwecke mit.
Als ich abends völlig platt in mein Bett fiel, und die Eindrücke des Tages noch ordentlich nachwirkten, kam mir auf einmal der Gedanke: „Jetzt verstehe ich, warum es Communi-Tree heißt. Es sind ganze Communities, die hinter einzelnen Wäldern stehen. Nicht „nur“ einzelne Personen oder Familien“.
Zu Besuch bei Enrique
Donnerstagmittag verabschiedete sich bereits ein Großteil der Gruppe nach intensiven gemeinsamen Tagen. Für alle Partner, außer uns drei von PRIMAKLIMA, ging es zurück nach Managua. Wir hingegen besuchten nachmittags gemeinsam mit Taking Root und APRODEIN „exklusiv“ noch drei weitere eigene Flächen in Somoto, bevor wir am Freitagmorgen noch weiter nach Boaco fuhren, um auch dort zwei von PRIMAKLIMA finanzierte Aufforstungen kennenzulernen.
Von Somoto sind es vier Stunden Busfahrt nach Boaco. Wer denkt, man hätte sich nach ein paar Tagen an die schöne Landschaft Nicaraguas „gewöhnt“, der täuscht sich. Auch auf dieser Autofahrt saß ich durchgängig mit der Nase ganz nah an der Fensterscheibe – ein Versuch, den Ausblick ganz genau aufzusaugen, sich diese malerische Natur nachhaltig einzuprägen.
Angekommen in Boaco, lernten wir das APRODEIN-Team vor Ort kennen und machten uns gemeinsam mit ihnen auf den Weg zu Kleinbauer Enrique Ventura. Über holprige Wege erreichten wir seine Farm. Diese war die bisher am weitesten von der Straße entfernte; wir liefen eine Weile über andere Flächen, auf denen u.a. Chili angebaut wurde; wir überquerten einen Fluss und gelangten dann an die auf einem Hügel gelegene Farm.
Enrique ist ein alleinerziehender, geschiedener Vater. Er hat seine Fläche 2021 bepflanzt, nachdem er von einem Nachbarn davon erfahren hatte. Warum er sich dazu entschlossen hat? Die Haupt-Motivation, so erzählt er uns, ist seine Tochter: Er sagt, er möchte ihr eine bessere Zukunft bieten – nicht nur finanziell, sondern auch mit Blick auf die Umwelt und das Klima.
Er erzählt uns als erster und einziger Farmer, warum Aufforstungen in Nicaragua überhaupt notwendig sind: Als die sandinistische Befreiungsfront im Juli 1979 die Macht in Nicaragua übernahm, hatte die spätere Umverteilung von Ländereien auch zur Folge, dass auf vielen Flächen sehr viele, vor allem wertvolle Bäume gefällt wurden. Deshalb wuchs auch auf Enriques Land kaum ein Baum nach. Durch seine Teilnahme am CommuniTree-Projekt ist auf seiner Fläche nun doch ein gesunder Wald entstanden.
Zurück in Deutschland
Köln – Frankfurt, Frankfurt – Miami, Miami – Managua. Von Managua nach Somoto. Von Somoto nach Boaco. Von Boaco zurück nach Managua. Zwei Nächte private Verlängerung der Dienstreise. Und dann über Miami zurück nach Frankfurt. Zehn Flächen, acht Tage und eine andere Zeitzone. Es war eine schöne, aber auch intensive Zeit, das merke ich auf meiner Rückreise nach Frankfurt.
Zurück zuhause, zurück im Büro, dauert es noch einige Tage, bis ich all die Eindrücke, Gedanken und Gefühle der Reise für mich sortiert habe. Von den Fotos, Videos und Notizen möchte ich gar nicht erst anfangen.
Ich bin unfassbar dankbar, Teil der Projektreise gewesen zu sein. Ich kann gar nicht aufzählen, wie viel ich gelernt habe, oder anders gesagt, wie viel ich erst durch den Besuch und den Austausch mit APRODEIN, Taking Root und den Farmer:innen wirklich verstanden habe. Wie ein großes Puzzle, bei dem zwar vor der Abreise schon einige Teile zusammengelegt waren, aber bei dem das Gesamtbild erst während und nach der Reise entstanden ist.
Was bleibt? Eine große Portion Hoffnung, weil ich in Nicaragua sehen durfte, wie schnell gesunde Wälder heranwachsen – und weil ich aus erster Hand erfahren habe, wie sehr sie das Leben der Menschen vor Ort verbessern und die Klimakrise abschwächen können. Die Zeit drängt. Aber wer wirklich will, kann in absehbarer Zeit Großes für Mensch und Natur schaffen.