Warum brauchen wir einen Standard für deutsche Waldklimaschutzprojekte?
Unser Wald ist nicht gut auf den Klimawandel eingestellt. Es fehlt ihm an Vielfalt und damit an Möglichkeiten, unter geänderten Bedingungen flexibel reagieren zu können. Das hat sich in den Jahren 2018-2021 deutlich gezeigt. Ungewöhnlich starke Hitze- und Dürreperioden haben in diesem Zeitraum zu Waldverlusten geführt, die fast fünf Prozent unserer gesamten Waldfläche entsprechen. Statt die Kraft der Natur zur Wiederbewaldung zu nutzen, wird sie durch Kahlschläge, also die flächige Holzernte auf den geschädigten Flächen, weiter geschwächt.
Leider fehlt es oft an Kenntnissen über alternative Wege bei der Waldbewirtschaftung und auch an finanziellen Mitteln – denn man beraubt sich erheblicher Einnahmen, wenn man geschädigte Bäume absterben und verrotten lässt, anstatt das Holz zu verkaufen. Gleichzeitig wird auf den Aufbau eines vielfältigen – und damit klimaanpassungsfähigen Waldes – zu wenig Wert gelegt. Das ist eine fatale Kombination, denn Klima- und Biodiversitätskrise verstärken sich gegenseitig.
Wir sind daher von der Idee und dem Stellenwert eines starken, unabhängigen und qualitativ hochwertigen Standards für die Zertifizierung deutscher Wald-Klimaschutzprojekte überzeugt. Ein solcher Standard kann durch die Inwertsetzung von Ökosystemleistungen Anreize für einen erhaltungsorientierten Umgang mit dem Wald setzen und eine vorausschauende Waldplanung fördern. Der Schlüssel für einen wirksamen Beitrag durch einen solchen Standard ist, dass er Klima- und Biodiversitätskrise gleichermaßen adressiert.
Ein vielversprechender Ansatz?
Der im Jahr 2020 gegründete Verein Ecosystem Value Association (eva) hat es sich zum Ziel gesetzt, einen fundierten Standard für Wald-Klimaschutzprojekte in Deutschland zu entwickeln, den sogenannten Waldklimastandard (WKS). Der Fokus lag zunächst auf der kohlenstoffbasierten Zertifizierung von sogenannten „Waldwiederaufbau“-Projekten, also der Wieder-Aufforstung von geschädigten Waldflächen.
Die Strukturen der eva haben uns von Anfang an überzeugt: Zu diesen gehören nicht nur Expertengremien (Wald-Klimarat) und regelmäßige Konferenzen, sondern auch die Einbeziehung der Öffentlichkeit in Form von sogenannten Public Consultations. Bis heute arbeitet keine der zahlreichen Initiativen zur Bewertung von Wald-Klimaschutzprojekten in Deutschland so professionell– daher haben wir von Beginn an unsere Expertise durch Dr. Leon Barthel und Jan Tenbrock aus dem Team der Nationalen Klimaschutzprojekte eingebracht und sind Mitglied im Wald-Klimarat geworden.
Das ernüchternde Ergebnis
Generell ist uns bei der Unterstützung unserer Projekte wichtig, dass diese möglichst im Einklang mit der Natur erfolgen und das Waldökosystem als Ganzes fördern. Das heißt für uns konkret, dass u.a. ausschließlich heimische und standortgerechte Baum- und Straucharten gefördert werden, dass geschädigte Bäume für die nächste Waldgeneration auf der Fläche verbleiben können und dass der Einsatz von schweren Maschinen weitestgehend vermieden wird.
Mit diesen Grundsätzen für die Förderung von Projekten ist die erste Version des Wald-Klimastandards und insbesondere die Methodik „Wald-Wiederaufbau“ jedoch nicht vereinbar. Deshalb haben wir konsequenterweise keine Projekte registriert und uns stattdessen für die Kündigung unserer Mitgliedschaft im Wald-Klimarat entschieden.
Wir wollen keinen Standard unterstützen, durch den ein überholter Umgang mit dem Wald gefördert wird, anstatt von den Profiteuren ein Umdenken einzufordern. Für uns kommt es nicht in Frage, dass Kahlschläge von geschädigten Flächen belohnt werden und Mindestanforderungen zum Aufbau klimaanpassungsfähiger Wälder nicht eingehalten werden müssen.
Unsere Forderungen für den Wald-Klimastandard
Im Folgenden möchten wir die größten Mängel des WKS und der Methodik „Wald-Wiederaufbau“, die wir schon seit einiger Zeit intern beanstandet haben, nach außen tragen:
1. Strenge und nachvollziehbare Kriterien für die Zusätzlichkeit setzen
Für die Seriosität von zertifizierten Waldprojekten hat die Zusätzlichkeit (Additionalität) eine große Bedeutung. Im Rahmen der Additionalität-Prüfungen wird sichergestellt, dass die positive Wirkung auf das Klima, die zertifiziert wird, ohne das Projekt nicht entstehen kann.
Gesetzliche Rahmenbedingungen verlangen jedoch von Waldbesitzenden in Deutschland, dass sie kahlgeschlagene Waldflächen oder verlichtete Waldbestände in angemessener Frist wiederherstellen, wenn die natürliche Wiederbewaldung unvollständig bleibt. Bei der Umsetzung können Waldbesitzende auf öffentliche Fördergelder zugreifen, sie kämpfen allerdings z.B. auch mit einer Knappheit an verfügbaren Pflanzmaterial, welche nicht allein durch finanzielle Unterstützung der Waldbesitzenden gelöst werden kann.
Uns überzeugt an dieser Stelle die Argumentation des WKS nicht, dass das Gesetz in der Praxis nicht eingehalten wird und es daher einer zusätzlichen finanziellen Unterstützung bedarf. Es ist Abnehmern der Klimazertifikate schwer vermittelbar, dass Waldbesitzende auf finanzielle Anreize aus der Zivilgesellschaft zur Einhaltung von Gesetzen angewiesen sind – insbesondere, wenn zuvor Einnahmen aus dem Verkauf des Schadholzes erzielt wurden (siehe nächster Punkt).
Für uns kann eine additionale Wirkung der Projekte nur in einer höheren Qualität (Naturnähe / Diversität / Klimaanpassungsfähigkeit) der wiederhergestellten Wälder gegenüber den gesetzlichen und förderrechtlichen (Mindest-)Anforderungen bestehen, oder darin, dass die in den Projekten verwendeten forstlichen Praktiken über die üblichen Praktiken hinausgehen. Diese sind vor allem aus ökonomischen Gründen verbreitet, obwohl sie dem Gesamtökosystem schaden.
2. Kahlschläge als Startpunkt für Berechnungen vermeiden
Auch in der Grundlage zur Definition der finanziellen Additionalität sehen wir beim WKS ein erhebliches Manko. Denn für den WKS liegt der Startpunkt des betrachteten Projektzeitraums (Beginn der Crediting Period) bei Wiederaufforstungsprojekten auf der beräumten, also kahlgeschlagenen Projektfläche. Damit werden mögliche Gewinne, die für Waldbesitzende auf der Projektfläche im Zuge der flächigen Holzernte entstehen, bei der Ermittlung der finanziellen Additionalität nicht berücksichtigt.
Es werden hingegen alle Aufwände innerhalb des Projektzeitraums von 20 bis 30 Jahren den Einnahmen gegenübergestellt, die auf der Projektfläche generiert werden, um die finanzielle Additionalität zu begründen. In diesem Zeitraum werden in der Regel jedoch nur Verluste generiert. Derlei Investitionen in die Begründung einer neuen Waldgeneration werden in Forstbetrieben in erster Linie durch die Gewinne aus Holzverkäufen gedeckt. Diese berücksichtigt der WKS jedoch nicht, selbst wenn diese direkt auf der Projektfläche und unmittelbar vor Projektbeginn erwirtschaftet werden.
Bei international anerkannten Standards ist es nicht denkbar, dass Waldbesitzende eine Fläche roden – und dann im Folgejahr Gelder aus dem Freiwilligen Kohlenstoffmarkt für die Aufforstung erhalten. Daher ist es nicht sinnvoll, dass der WKS eine entsprechende Vorgehensweise der Waldbesitzenden durch die Möglichkeit zur Veräußerung von Zertifikaten belohnt. Die Hürden und die Konsequenzen einer flächigen Beräumung müssen viel höher sein als dies aktuell der Fall ist – und dürfen nicht belohnt werden.
3. Totholz und Böden schützen, das Ökosystem als Ganzes stärken
Es gibt viele Gründe, die für den Schutz von Waldböden und den Erhalt von Totholz sprechen. Sie sind außerdem im Interesse der Waldbesitzenden und der Allgemeinheit. Denn durch die Befahrung und flächige Beräumung entstehen tiefgreifende Schäden im Boden, die die Wasserspeicherfähigkeit und Versorgung mit Sauerstoff nachhaltig verschlechtern. Zeitgleich gehen mit dem Verlust von Totholz zahlreiche Vorteile für die heranwachsende neue Waldgeneration sowie für das gesamte Ökosystem verloren. Dazu gehören zum Beispiel die Kühlungswirkung (u. a. durch Beschattung) und die Nährstoffanreicherung der Waldböden.
Abgestorbenes Holz und insbesondere der Waldboden speichern zudem eine Menge Kohlenstoff. Wir bezeichnen sie deshalb auch als Kohlenstoffpools. Diese werden bei der Kohlenstoffbilanzierung im WKS leider nicht berücksichtigt. Durch die Räumung von Waldflächen wird eine Menge Kohlenstoff von der Projektfläche entnommen – gleichzeitig entstehen in den Folgejahren erhöhte Emissionen.
Diese müssten dementsprechend negativ in die Bilanzierung eingehen. Insbesondere Projekte, in denen mit einer Notwendigkeit für Bodenbearbeitung argumentiert wird, sollten nachweisen, dass die dadurch zusätzlich freigesetzten Emissionen auch tatsächlich wieder innerhalb der Crediting Periodeingebunden werden. Dies ist wichtig, um eine unseriöse Überschätzung der Einbindungsleistung ausschließen zu können.
Würde der WKS – in Kombination mit unserer zweiten Forderung – Totholz und Böden als Kohlenstoffpools in der Bilanzierung berücksichtigen, würde dies bedeuten, dass Waldbesitzende mit dem Erhalt von Totholz mehr Zertifikate generieren könnten, da damit eine höhere Einbindung von Kohlenstoff im Boden einhergeht. Darüber hinaus wäre es sinnvoll, die durch den Totholzerhalt geschaffene positive Wirkung für weitere Ökosystemleistungen (z.B. für die Biodiversitätsförderung) zusätzlich mit Zertifikaten zu honorieren.
Auf diese Weise könnte der WKS einen weiteren finanziellen Anreiz für Waldbesitzende schaffen, das Forstmanagement im Sinne des gesamten Waldökosystems auszurichten. Mit den aktuellen Regelungen, die Kahlschläge finanziell belohnen, passt es jedoch nicht zusammen, dass der WKS sich selbst an seinem eigenen Prinzip orientieren möchte, dass „Projekte ökologisch verantwortlich durchgeführt werden“.
4. Keine experimentellen Baumarten für klimaanpassungsfähige Wälder nutzen
Im Zuge des Klimawandels lässt sich nicht mit Gewissheit vorhersehen, welche Baumarten in Zukunft auf den verschiedenen Standorten am besten angepasst sein werden. Daher ist es wichtig, sich bei der Förderung von klimaanpassungsfähigen Wäldern nicht allein auf diese Ebene zu konzentrieren, sondern die Stärkung der Widerstands- und Anpassungsfähigkeit des gesamten Waldökosystems in den Blick zu nehmen.
Selbstverständlich gehört dazu eine vielfältige und standortgerechte Baumartenzusammensetzung. Wichtig ist jedoch auch, dass die Baumarten im Zusammenspiel mit dem gesamten Ökosystem, also zum Beispiel auch mit den hier etablierten Mikroorganismen, Pilzen oder Insekten harmonieren. Denn nur so kann ein gesundes und widerstandsfähiges Waldökosystem gefördert werden.
Diesem Aspekt wird der Wald-Klimastandard unserer Ansicht nach nicht gerecht. Denn der WKS erlaubt das Fördern und Pflanzen von hierzulande natürlicherweise nicht vorkommenden und nicht standortangepassten Baumarten von jeweils bis zu 20% auf den Projektflächen. Bevor das Anpflanzen von nicht-heimischen Baumarten außerhalb von streng kontrollierten Versuchsflächen umgesetzt wird, darf es keinerlei Zweifel an der ökologischen Verträglichkeit auf allen Ebenen geben.
Bei vielen nicht-heimischen Baumarten ist die ökologische Verträglichkeit jedoch strittig und nicht hinreichend untersucht. Daher ist es absolut fahrlässig, mit dem WKS einen Rahmen zu schaffen, durch den mit Hilfe von Privatfinanzierungen nicht kontrollierte Experimente mit neuen Baumarten durchgeführt werden, deren Risiken nicht ausreichend bewertet werden können.
5. Finanzielle Unabhängigkeit sicherstellen
Von jedem Projekt, das durch den WKS zertifiziert wird, erhält die eva selbst 15% der Zertifikate. Diese Anteile kann sie wiederum veräußern, wodurch ein Interessenskonflikt entsteht, da sie als Verkäufer auftreten und von einer hohen Einschätzung der Klimaschutzwirkung direkt profitieren. Wir wünschen uns einen Standard, der eine unabhängige Finanzierung forciert und somit die Glaubwürdigkeit der Initiative und der Projekte schützt.
6. Besetzung des beratenden Gremiums „Wald-Klimarat“ diversifizieren
Im Waldklimarat sind zwar in der Gruppe „Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft“ Nichtregierungsorganisationen vertreten, die sich für eine ganzheitliche Betrachtung des Waldes einsetzen. Insbesondere in den Gruppen „Wald“ (z.B. Waldeigentümer:innen) und bei der wissenschaftlichen Begleitung gibt es im Wald-Klimarat aber nicht genügend Stimmen von Personen, die sich auf die Umsetzung und wissenschaftliche Untersuchung von Waldbewirtschaftungsmethoden spezialisiert haben, die die ganzheitliche ökologische Leistungsfähigkeit der Wälder nutzen und unterstützen.
Statt die Interessen von Waldeigentümer:innen als Gegensatz zu Interessen der Zivilgesellschaft zu sehen, sind wir davon überzeugt, dass die Förderung von Biodiversität und klimatische Anpassungsfähigkeit im besten Sinne der Eigentümer:innen ist, um ihren Wald auch als Wirtschaftsgut dauerhaft zu sichern.
Wie kann es jetzt weitergehen?
In Zeiten von Klima- und Biodiversitätskrise, Extremwetterereignissen wie langanhaltenden Dürreperioden und ungewöhnlich starken Niederschlägen sowie dem Verlust an Artenvielfalt, dürfte es im Interesse Aller sein, dass uns auch in Zukunft intakte und gesunde Waldökosysteme erhalten bleiben.
Wir rechnen damit, dass es in der nächsten Zeit eine breite öffentliche Diskussion um den Wald-Klimastandard geben – und somit auch zu kritischen Berichterstattungen kommen wird. Es sollte jedoch unser aller Anliegen sein, dass es nun nicht die nächste „Hetzjagd“ auf Waldprojektzertifizierer, -entwickler und -förderer gibt. Stattdessen brauchen wir sachlich fundierte Diskurse und Analysen verbunden mit dem Aufzeigen von konstruktiven Lösungsansätzen. Die Herausforderungen zur Bewältigung der Folgen der Klima- und Biodiversitätskrise sind zu dringend, um wichtige Zeit auf Nebenschauplätzen zu verbringen.
Wir werden daher weiter die Entwicklung des Wald-Klimastandards und anderer Initiativen beobachten und uns dort einbringen, wo Ansätze entstehen, die unseren Prinzipien entsprechen. Wir rufen auch alle Interessierten und Engagierten auf, sich ebenfalls aktiv an dem Prozess zur Entwicklung von hochwertigen Standards zur Inwertsetzung von Ökosystemleistungen zu beteiligen. Lasst uns gemeinsam den Diskurs voranbringen.