Nachdem im Januar ein Artikel der ZEIT erschienen ist, der die Zertifizierung von Waldprojekten durch die Organisation Verra hart kritisiert hat, haben wir intern nach einer ersten Stellungnahme eine Phase der Analyse und des Austauschs durchlaufen.
Bei einem so komplexen Thema möchten wir zunächst klarstellen, dass wir nur auf Aspekte eingehen möchten, die unsere Arbeit betreffen. Zu Projekten, die wir nicht kennen, können wir ebenso wenig sagen wie über das vermeintliche Greenwashing von Unternehmen, mit denen wir keinen Kontakt haben.
Dennoch können wir unseren Teil zur Aufklärung beitragen, indem wir die Kritik einordnen, die Projektdurchführung und -finanzierung verständlich erklären und die Kritikpunkte konstruktiv aufarbeiten, damit Spender:innen sich ein eigenes Bild machen können. Was uns dabei besonders bewegt, ist eine Frage, die in der ganzen Diskussion zu kurz kommt: Was hilft dem Wald?
Denn eine Folge der – teils berechtigten – Kritik ist die Angst aufseiten von Unternehmen, sich mit einem Engagement für Waldprojekte die Finger zu verbrennen. Mögliche Reaktion: Mittel einfrieren, die für den Erhalt von Wäldern geplant waren.
Dabei kann die aktuelle Diskussion viel Positives bewirken, wenn Unternehmen und Privatspender:innen besser verstehen, wie sie ihr Geld sinnvoll einsetzen können. Und Verra Regelungslücken in der eigenen Methodologie schließt.
Verra steht, fast ein Jahr später, nach wie vor in der Kritik
In den letzten Monaten sind weitere kritische Artikel erschienen, zuletzt im britischen Guardian. Vorweg: Die Artikel kommen daher, als lieferten sie neue Erkenntnisse – es sind seit Januar allerdings keine hinzugekommen. So wird dem Zertifizierer weiterhin vorgeworfen, CO₂-Einsparungen in mehreren Projekten großzügiger zu berechnen, als sie es de facto sind.
Auch weltweit bekannte Unternehmen kommen in den Berichten bis heute nicht gut weg mit ihren Kompensationszahlungen. Daher gibt es vermehrt Stellungnahmen zu den Veröffentlichungen; Verra selbst hat eine detaillierte Antwort verfasst, die nahezu jeden öffentlichen Kritikpunkt betrachtet – und widerlegen soll.
Da Wälder seit unserer Gründung vor über 30 Jahren das Herzstück unserer Arbeit sind und in den letzten Jahren immer mehr Akteure in diesem Bereich aktiv sind, begrüßen wir es, dass Waldprojekte und Zertifikate weltweit auch von Journalist:innen intensiv beobachtet werden. Schließlich ist es ihre Aufgabe, im Sinne des Gemeinwohls zu recherchieren und auf Missstände aufmerksam zu machen.
Was uns aufgefallen ist: Meist werden Einzelaspekte kritisiert, die Leser:innen schwer nachvollziehen können, wenn sie nicht bereits im Thema sind. Wir möchten daher den Versuch wagen, ein sehr komplexes Thema auch für Laien nachvollziehbar zu erklären.
Das Problem: Die drohende Abholzung
Dabei blicken wir erst einmal auf die Projektdurchführung. Waldschutz-Projekte sind bis heute notwendig, weil ökologisch wertvolle, teils jahrhundertealte Wälder für einen kommerziellen Profit gerodet werden. Demnach gingen im vergangenen Jahr insgesamt 6,6 Millionen Hektar Waldfläche verloren – eine Fläche fast so groß wie Bayern.
Werfen wir unseren Blick einmal konkret nach Papua-Neuguinea: Dort entsteht aktuell ein neues Projekt, das wir unterstützen. Unzählige Waldflächen wurden hier in der Vergangenheit von der Regierung an ausländische Unternehmen verteilt, die offenkundig das Holz entnehmen und verkaufen wollen. Für die indigene Bevölkerung der Tavolo-Gemeinde besteht seitdem die sehr reale Bedrohung, ihren Wald an Holzerntemaschinen zu verlieren.
Statt eines wertvollen Primärwalds, der viele bedrohte Arten beheimatet; sowie Heimat, Nahrung und Medizin für die Tavolo-Community bietet, soll langfristig beispielsweise eine Kaffeeplantage entstehen. Monokultur für indigene Gemeinschaften, Kaffeekultur für uns!
Eine Katastrophe für Mensch und Natur. Doch wer denkt, die Tavolo-Gemeinde würde sich diesen politischen Entscheidungen kampflos beugen, der täuscht sich. Seit Jahren lehnen sie sich gegen die Abholzung auf; riskieren sogar, im Gefängnis zu landen.
Die Lösung: Der freiwillige Kohlenstoffmarkt
Man erahnt es bereits: Der Kampf gegen finanzstarke Unternehmen ist kaum zu gewinnen. Die Menschen, die sich seit Jahren tagtäglich für die Natur engagieren, brauchen externe Unterstützung.
In diesem Fall hat die lokale, gemeinnützige Organisation FORCERT von dem Problem erfahren – und unterstützt die Tavolo-Gemeinde seitdem vor Gericht bei ihren Klagen für ihre traditionellen Landrechte. Parallel dazu haben alle Beteiligten ein Projekt entwickelt, das den Waldschutz langfristig sichern und zusätzliche Einkommensquellen für die Bevölkerung schaffen soll. Akteure wie FORCERT gehen in Fällen wie diesen meist in Vorleistung – und können all diese Maßnahmen nicht allein finanzieren.
Doch woher sollen die Mittel kommen, um ein Projekt wie dieses auf Jahrzehnte abzusichern? Auf eine Regierung, die das Problem erst entstehen lassen hat, kann man sich nicht verlassen. Hier kommt der freiwillige Kohlenstoffmarkt (englisch: Voluntary Carbon Market, kurz: VCM) ins Spiel. Dieser ist im Moment die effektivste Möglichkeit, Waldschutz zu finanzieren. Wären solche Projekte allein auf private Spenden angewiesen, könnten sie nicht dauerhaft bestehen. Der VCM bietet Unternehmen einen handfesten Vorteil: Eine klare, extern zertifizierte Wirkung.
Die Stolperfallen: Zertifizierung und Finanzierung
Dafür benötigt es im ersten Schritt allerdings Zertifikate, die anzeigen, wie viel CO₂ im jeweiligen Waldschutzprojekt eingespart wird. Leider gibt es keine politisch legitimierte Stelle, die Projekte unabhängig überprüft. Stattdessen ist Verra der größte Zertifizierer im freiwilligen Kohlenstoffmarkt. Vom Projekt (in unserem Beispiel FORCERT) beauftragte Auditoren überprüfen, ob das Projekt die von VERRA vorgegebene Methodik eingehalten hat. Verra selbst prüft die Berichte, am Ende entsteht pro eingebundener oder nicht in die Atmosphäre entlassener Tonne CO₂ ein Zertifikat. Gemeinnützige Vereine, die sich auf diese Weise für den Klimaschutz engagieren, kommen nicht um Verra herum. Auch wir nicht.
Nun gibt es also Zertifikate, aber noch kein Geld für das Projekt. Hier folgt der nächste Schritt: Es benötigt Anbieter, die diese Zertifikate an Privatpersonen oder Unternehmen vermitteln. Das ist unsere Rolle innerhalb des Systems.
In den letzten Jahren haben wir beobachtet, wie der VCM einen enormen Zuwachs verbucht hat. Zum einen gibt es mehr (auch profit-orientierte) Händler, die Waldschutz-Projekte „vermarkten“. Es ist im Einzelfall zu sehen, ob diese eine konstruktive Auswahl wirksamer Projekte treffen. Skepsis ist angebracht, wenn eine Auswahl hunderter Projekte angeboten wird. Es fehlt in der Regel an der Kapazität, diese zu prüfen und über das Geschehen vor Ort auf dem Laufenden zu bleiben. Auf der anderen Seite gibt es inzwischen mehr Unternehmen, die solche Projekte finanzieren – als Teil ihrer Nachhaltigkeitsstrategie.
Uns ist bewusst, dass es auf einem wachsenden Markt Projekte gibt, die nicht unseren gewünschten Standards entsprechen. Das ärgert uns enorm, denn sie überschatten – vor allem medial – diejenigen, die tatsächlich einen messbaren Beitrag leisten. Die mediale Auseinandersetzung der letzten Monate hat zudem gezeigt, dass hinter kritisierten Projekten häufig auch noch große, bekannte Unternehmen mit ihren Kompensationszahlungen stehen. Diese stellen für eine kritische Berichterstattung zusätzlich gefundenes Fressen dar.
Wie umgehen mit diesen Stolperfallen?
Seit unserem Start im Jahr 1991 verlassen wir uns nicht nur auf externe Zertifikate, sondern haben eine interne Expertise aufgebaut und zahlreiche strenge Kriterien für die Auswahl von Projekten entwickelt. Das bedeutet nicht nur, viel Zeit in die Recherche möglicher neuer Projekte zu stecken, sondern auch während der Projektlaufzeit regelmäßigen Kontakt zu den Beteiligten vor Ort zu pflegen und uns nicht zuletzt selbst ein Bild vor Ort zu machen.
So waren wir in diesem Jahr in Kambodscha, hatten Projekt-Partner aus Uganda zu Gast bei uns in Köln und sind zuletzt im November zu dritt nach Nicaragua gereist. Das Resultat aus all diesen Maßnahmen ist eine im Vergleich kleine Auswahl an Projekten, über deren Verlauf wir jederzeit informiert sind.
Außerdem schauen wir uns die Unternehmen, die unsere Projekte finanziell unterstützen wollen, genau an – und haben eine Corporate Fundraising Policy erarbeitet, die u.a. folgende Fragen beantworten soll: Meinen die Unternehmen es ernst in Sachen Klimaschutz? Arbeiten sie (neben der Kompensation von ihrem CO2-Ausstoß) an weiteren klimafreundlichen Maßnahmen? Sind Geschäftsmodell und Maßnahmen zukunftstauglich? Diese selbstauferlegte Policy schließt beispielsweise Ölkonzerne oder Kreuzfahrtanbieter von einer Kooperation mit PRIMAKLIMA aus.
Fazit: Gemeinsame Forderungen an Verra
Um die Kritikpunkte an Verra zum Schluss noch einmal aufzugreifen: Wir haben in den vergangenen Monaten den Austausch mit unseren internationalen Projektpartnern gesucht und sie zu ihrer Meinung gefragt. Wie vieles im Leben ist die Situation nicht schwarz-weiß. Kein Waldschutzprojekt ist wie das andere. Und dennoch möchten wir folgendes Zitat aus Papua-Neuguinea veröffentlichen – und uns den Forderungen anschließen.
We are actually pleased with this research and article, as we have seen already in Papua New Guinea how the Verra system can be and is manipulated, and we hope this will help in getting the necessary improvements that need to be made in the Verra system. We also see this important scrutiny of Verra as a chance to further profile and promote our PNG Communities BEST Program approach and our first project under this program.
Wir sind erfreut über die Forschung und die Artikel, da wir bereits in Papua-Neuguinea gesehen haben, wie das Verra-System manipuliert werden kann und wird. Wir hoffen, dass die Berichterstattung dazu beitragen wird, die notwendigen Verbesserungen im Verra-System zu erreichen. Wir sehen diese wichtige Prüfung von Verra auch als Chance, unseren Ansatz des PNG Communities BEST-Programms und unser erstes Projekt im Rahmen dessen weiter zu entwickeln und zu fördern.
– Peter Dam, FORCERT
Ebenso sind wir der Auffassung, dass ein ausschließliches Abweisen von Kritik und Auseinandernehmen von externen Studien der Sache nicht dienlich ist. Die reine Abwehr schürt einen Generalverdacht, der vielen aktiven Akteuren und deren gemeinsamen Projekten nicht gerecht wird. Fehler können und werden passieren – es gilt nur, diese erkennen zu wollen und Weiterentwicklungen ständig und proaktiv zu forcieren.
Ausblick: We’re all in this together
Wir alle sollten ein Interesse daran haben, dass Waldschutz tatsächlich passiert. Nicht nur in Betrachtung der sich verschärfenden Klimakrise, sondern auch zum Schutz vielfältiger Ökosysteme; inklusive zahlreicher bedrohter Arten. Es muss von allen Seiten den Willen zur Selbstreflektion und zur Weiterentwicklung geben. Das gilt für Verra; das gilt für uns und weitere Organisationen, und das gilt eben auch für Journalist:innen.
Denn: Wir brauchen das freiwillige Engagement für unser Klima und die Biodiversität. Wir brauchen das freiwillige Engagement von Spender:innen. Wir brauchen das freiwillige Engagement von Unternehmen, die Kompensation nicht nur als Greenwashing-Tool ansehen. Für viele ist die Unterstützung von Waldprojekten nur eine von vielen Maßnahmen. All diese Menschen, die sich aktiv für den Schutz unseres Planten einsetzen, gibt es. Wir müssen sie nur zu Wort kommen lassen und ihnen die Chance geben, Fehler zu korrigieren.
Solange der Großteil der Politik und leider ebenso viele relevante Unternehmen nicht ernsthaft an einem Kampf gegen die Klima- und die Biodiversitätskrise interessiert sind, braucht es all diese freiwilligen Maßnahmen. Denn bis heute werden täglich wichtige Ökosysteme zerstört. Jeder Wald, der gerodet wird, ist einer zu viel.
Dass einige Unternehmen sich mit ihren Klimaschutzversprechen nur ein grünes Mäntelchen umhängen möchten, ist ein Fakt. Dass Nichtstun aus Angst vor Kritik das Mittel der Wahl wird, darf nicht passieren. Dafür fehlt uns leider die Zeit.