Kontinuitäten – Im Gespräch mit Henriette Lachenit und Karl Peter Hasenkamp

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„Immer, wenn aus den unterschiedlichen Ländern Bilder und Erzählungen kommen, oder wir vor Ort erleben, dass die Aufforstungen etwas bewirken, ist das natürlich besonders berührend. Aus Nicaragua gibt es beispielsweise Berichte, dass Quellen, die ganzjährig trockengefallen sind, jetzt wieder Wasser führen; durch die Aufforstungen. Oder nach den Wiederaufforstungen in Uganda gibt es dort jetzt wieder Schimpansengruppen. Auch da gibt es eine sichtbare Rückkehr zum Waldzustand. Das macht schon große Freude!“, erzählt Henriette Lachenit strahlend.

PRIMAKLIMA-Geschäftsführerin Henriette Lachenit und Gründer Karl Peter Hasenkamp blicken gemeinsam auf 30 Jahre PRIMAKLIMA zurück – ein Gespräch über harte Anfangszeiten, die Liebe zum Wald und die Hoffnung auf gesellschaftlichen Wandel.

Herr Hasenkamp, gab es vor der Gründung von PRIMAKLIMA sozusagen einen Augenöffnermoment für Sie?

Karl Peter Hasenkamp: Meine berufliche Prägung war ja Volkswirtschaft. Ich dachte in Bruttosozialprodukt und Einkommen – alles immer in D-Mark- oder Dollar-Einheiten. Aber ich pendelte damals fast täglich nach Bonn, und bei diesen täglichen Fahrten über knapp 80 Kilometer stellte ich fest, dass ich mich in einem unendlichen Strom von Autos befand. Der Verkehr stand mal wieder, ich guckte durch meine Scheibe und sah um mich herum nur Autos und Auspuffrohre. Zu der Zeit gab es ja den Katalysator auch noch nicht. Die Lastwagen qualmten mich also an – und für mich war klar: Das ist nicht aushaltbar. Da fing ich an, mich zu fragen, ob die Atmosphäre das in der Summe aushält. Denn Stau gab es ja im Grunde fast überall. Das waren so Gedanken – und dann machte ich mich ein bisschen schlauer.

Dabei blieben Sie aber dann nicht stehen?

Hasenkamp: Nein, unter anderem nutzte ich damals meine Kontakte zu dem damaligen NRW-Wirtschaftsminister Jochimsen – der auch für Energiethemen zuständig war. Ich schrieb ihn an und fragte, ob das Ministerium Erkenntnisse zu der Abgas-Problematik hat. Da wurde erst einmal ein Riesengeräusch wegen dieses Briefs gemacht. Es gab dann einen interministeriellen Arbeitskreis – und ich bekam immer mal wieder Zwischennachrichten. Dann bekam ich die vom Minister unterschriebene Aufklärung und damit das Ergebnis von mehreren Konferenzen: Dass die Luft äußerst differenziert aufgebaut ist!

Also war das Bewusstsein, dass der CO2 Ausstoß höchst problematisch werden könnte, noch nicht besonders ausgeprägt?

Hasenkamp: Im globalen Kontext noch nicht, aber in der Phase gab es eine erste Klimakonferenz in Südtirol. Da trafen sich 1988 etwa 30 Physiker und Chemiker. Die hatten ein erstes Signal gesendet: Wir müssen das Thema Anreicherung der Atmosphäre mit CO2 ernst nehmen. Ich hatte damals Gespräche mit einem mir bekannten Physiker. Der klärte mich über die Eigenschaften von CO2 auf – und über die Gefährlichkeit. Diese einzelnen Wissenskomponenten erfuhr ich. Und dann erklärte mir ein Biologe, dass man mit Photosynthese den Kohlenstoff wieder einfangen kann. Da hatte ich dann diesen Fadenriss – und das dringliche Gefühl, etwas machen zu müssen.

Erwuchsen aus dieser Erkenntnis die ersten konkreten Ideen?

Hasenkamp: Es wurde konkreter, als Ende der 80er Jahre ein Unternehmer auf mich zu kam und mich bat, ihn zu beraten. Es ging um ein Wärmesystem, das in ganz Deutschland verkauft werden sollte – zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung. Alle Welt wusste, dass Ostdeutschland nur marode Heizungen hatte, und das Unternehmen erlebte einen regelrechten Boom. Für dieses Unternehmen entwickelte ich die Idee, dass man Heizungen bestellen kann und optional die Möglichkeit angeboten wurde, diese CO2-neutral zu stellen. Das war der Anfang.

Im Nachgang gründeten Sie den Verein PRIMAKLIMA. Wie sehr hat das Ihr Leben bestimmt?

Hasenkamp: Ich war doppelt gefordert. Für fünf Jahre war ich zu sechzig Prozent mit meiner Bank-, Politik-, Beratungstätigkeit befasst und zu 40 Prozent ehrenamtlich mit PRIMAKLIMA. Mein Arbeitstag erreichte allzu oft 14 Stunden, und auch an so manchem Wochenende habe ich geschrieben und gemacht.

Es ging dann ja darum, für die Baumpflanzungen geeignete Gebiete zu finden. Erfolgte das anfangs vor allem durch persönliche Kontakte?

Hasenkamp: Es gab einige Personen, denen ich auf meinem Lebensweg begegnet bin; darunter der Amerikaner Neil Sampson, der Leiter der Naturschutzorganisation American Forests. Er hatte die Aufforstungsorganisation Global Releaf gegründet – und sagte: Karl, du weißt, Amerika ist ziemlich groß. Also, ich kann dir das anbieten, das kriegen wir hin! In den USA, in Michigan, habe ich dann auch meine persönliche CO2-Neutralisierung realisiert. Ich hatte ja eine Familie, saß dauernd im Auto, besaß ein Haus, dann die Reisen. Das waren damals 40 Tonnen CO2 pro Jahr. Diesen zu verantwortenden CO2-Ausstoß habe ich auf eigene Kosten mit einer Aufforstung über American Forests kompensiert.

Wie haben Sie damals Ihren eigenen CO2-Ausstoß und später dann auch den der anderen errechnet?

Hasenkamp: Die Übersicht, dass ein Normalo überhaupt einschätzen kann, wie viel CO2 verursacht wird, ist von mir entwickelt worden. Dieses Instrument haben diejenigen bekommen, die wir für PRIMAKLIMA interessieren wollten. Damals musste man die Angaben noch mit der Hand in einer Tabelle eintragen – und dann konnte man das ausrechnen.

Sie wollten wenig später mit einem sogenannten „All-Winners-Konzept für die Menschheit“ großflächige Aufforstungen im Ausland initiieren. Wie kam es zu diesen Plänen?

Hasenkamp: Das hatte mit dem Verein Eurosolar zu tun. Ich war dort Mitglied, und der Gründer Hermann Scheer lud damals – bewusst pointiert – vor der Rio-Konferenz 1992 nach Rom ein. Dabei waren Wissenschaftler aus Russland, aus den USA und aus Europa. Wir machten auf dieser Konferenz eine Rom-Erklärung: Man sollte auf jede Kilowattstunde, die thermisch entfesselt wird, einen US-Cent zahlen und damit Solarenergie und Aufforstungsprogramme finanzieren. Unsere Vorstellung war, dass es große Länder wie Russland gibt, die genügend Platz haben, um CO2 aus der Vergangenheit aufzufangen.

Aber daraus wurde nichts?

Hasenkamp: Ein gewisses Geräusch ist entstanden: Das Konzept ist in der Öffentlichkeit erwähnt worden – das war es dann.

PRIMAKLIMA wuchs dennoch weiter. 2009, im Jahr der gescheiterten Klimakonferenz von Kopenhagen, stieß eine der jetzigen Geschäftsführer:innen, Henriette Lachenit, zum Verein. War es die Liebe zum Wald oder der Klimaschutzgedanke, der Dich zu PRIMAKLIMA geführt hat?

Henriette Lachenit: Das war eine Verknüpfung aus beiden Aspekten. Es war auf jeden Fall die Liebe zum Wald, wegen der ich mich auf die Suche nach einer neuen Stelle gemacht habe. Als ich die Ausschreibung gesehen habe, war mir sofort klar: Das ist eine besondere Stelle – weil sie diesen Bezug zum Klimaschutz hatte. Dem weltweit wichtigsten Thema, der Klimakrise, wurde der Wald als Teil der Lösung an die Seite gestellt. Diese Kombination war ein Treffer für mich.

Wie hat sich PRIMAKLIMA daraufhin entwickelt? Gab es schon bald Änderungen?

Lachenit: Die Anfangszeit war davon geprägt, dass ich PRIMAKLIMA erstmal durchdringen wollte. Es gab damals schon etliche Spender:innen, etliche Projektpartner und ein breites Netzwerk. Da galt es erstmal, alles aufzusaugen, was Herr Hasenkamp über PRIMAKLIMA erzählen konnte.

Dann gab es im Lauf der Zeit natürlich Weiterentwicklungen. Wir standen zum Beispiel recht schnell vor der Frage, ob wir auf zertifizierte Kohlenstoffprojekte setzen oder weiter die Idee verfolgen, dass wir kein Geld in externe Zertifizierung stecken – sondern alles Geld, was über die Spender:innen hereinkommt, in die Umsetzung von Projekten laufen lassen. Wir haben dann entschieden, sämtliche Aufforstungen, die im Ausland stattfinden, zertifizieren lassen.

Warum war das wichtig?

Lachenit: Die Idee, mit Wäldern der Klimakrise etwas entgegenzustellen, war grandios. Aber es war schwer, den Spender:innen zu verdeutlichen, dass PRIMAKLIMA genau weiß, wieviel Kohlenstoff die Projekte dauerhaft binden. Das waren im Einzelnen sehr aufwendige Gespräche und Telefonate.

In dem Moment aber, in dem wir sagen konnten, es gibt eine zertifizierte CO2-Bilanz von einer externen Partei, hat das aus meiner Sicht die Überzeugungsarbeit wesentlich erleichtert.

Waren Sie mit den Änderungen, die im Lauf der Zeit dazu kamen, einverstanden?

Hasenkamp: Mir ging es all die Jahre darum, möglichst viel zu pflanzen – Henriette Lachenit hat als überzeugender betrachtet, dass ein komplexes Projekt aufgesetzt wird. Es ging natürlich weiterhin um Kohlenstoffbindung, aber hinzu kamen Aspekte wie die zusätzliche Wirksamkeit für die Landbevölkerung.

Lachenit: Ja, ich erinnere mich gut daran, dass wir das Projekt in Nicaragua dazu genommen haben. Dort standen und stehen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ganz im Zentrum – und damit das Thema, dass Menschen, die kaum zum Klimawandel beigetragen haben, unter den Folgen leiden. Vorher stand die Vergrößerung der Senkenwirkung stark im Fokus. Es wurde dann aber wichtiger, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, denn die Klimakrise gefährdet die natürlichen Lebensgrundlagen von uns allen. Dort, wo sich Menschen bereits jetzt anpassen müssen, haben wir eine besondere Verantwortung.

Die Bäume und die Waldflächen zu sehen, die im Lauf der Zeit geschaffen wurden – wie befriedigend ist das?

Lachenit: Immer, wenn aus den unterschiedlichen Ländern Bilder und Erzählungen kommen, oder wir vor Ort erleben, dass die Aufforstungen etwas bewirken, ist das natürlich besonders berührend. Aus Nicaragua gibt es beispielsweise Berichte, dass Quellen, die ganzjährig trockengefallen sind, jetzt wieder Wasser führen; durch die Aufforstungen.

Oder nach den Wiederaufforstungen in Uganda gibt es dort jetzt wieder Schimpansengruppen. Auch da gibt es eine sichtbare Rückkehr zum Waldzustand. Das macht schon große Freude!

Hasenkamp: Ich erinnere mich daran, dass einer unserer seinerzeitigen sehr engagierten Mitstreiter, Horst Emse, sich zu einem Zeitpunkt eine Übersicht gemacht hatte, wo wir in Deutschland gepflanzt hatten, und er hat diese Projekte alle besucht. Er sagte dann: Es ist derart anrührend, dass es einem die Tränen in die Augen treibt – es blühte und wuchs überall.

Ist es denn eine Genugtuung, dass das Thema mit Fridays for Future inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist?

Lachenit: Wir sind ja mit PRIMAKLIMA zu den Demonstrationen gegangen – dort sieht man der jungen Generation an, dass sie sich nicht bremsen lassen wird. Ich finde, das hat sich jetzt auch über die Zeit der Pandemie gezeigt: Die Bewegung ist keine Eintagsfliege. Das Problem ist ganz offen auf dem Tisch, und Wald als zentrales Ökosystem dieser Welt spielt dabei eine ganz große Rolle; nicht nur als pure CO2-Senke, sondern als wichtige Lebensgrundlage für viele Menschen auf der Welt.

Sie, Herr Hasenkamp mussten ja noch täglich dafür kämpfen, klarzumachen, dass der Baum Teil der Lösung ist. Jetzt ist das nach meinem Eindruck bei vielen zu einer Selbstverständlichkeit geworden.

Wo kann man die Hoffnung verorten, dass alles noch ein gutes Ende nimmt?

Hasenkamp: Ich verstehe Ihre Frage. Die Frage ist, ob wir es schaffen, mit unserem Gesellschaftsmodell, das unglaublich viele Vorteile hat, die kollektiven Hausaufgaben zu machen. Es könnte sehr kompliziert werden. In der Not wird Wald staatlicherseits gepflanzt oder man greift zu anderen biotischen Lösungen – man wird es machen müssen.

Lachenit: Was mich hoffnungsfroh macht: Ich habe nicht das Gefühl, dass die Jugend die Politik aus der Verantwortung lässt. Das ist eine glaubwürdige Bewegung, die nicht lockerlässt. Darin steckt eine ungeheure Kraft, die gesellschaftlichen Wandel möglich macht. Ich bin nur nicht sicher, ob der Wandel schnell genug kommt. Aber im Vergleich zu 2009 – als ich zu PRIMAKLIMA gestoßen bin – habe ich ein ganz anderes Grundgefühl: Das Thema ist mitten in der Gesellschaft.

 

(von Nina Giaramita)